Zum tausendsten Mal: Warum mehr Medizin-Studienplätze nicht zu mehr HausärztInnen führen
Karl-Josef Laumann ist zum ersten Mal im neuen Amt mit einer gesundheitspolitischen Forderung an die Öffentlichkeit geprescht. Laumann, seit zwei Wochen beamteter Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium unter Hermann Gröhe und dort Beauftragter für Pflege und PatientInnen, forderte in der WELT eine Erhöhung der Medizinstudienplätze und einen erleichterten Zugang für AbiturientInnen “ohne Einser-Abi”.
Das ist seine reflexhafte Reaktion auf die neuesten Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, gemäß derer es einen Mangel von ca. 3000 Allgemeinmedizin-Praxen in Deutschland gäbe. Eine reflexhafte Reaktion, wie sie vor ihm schon Philipp Rösler zeigte, der sie sich dann aber von seinem Haus auch wieder weder mangelnder Plausibilität aus dem ReferentInnenentwurf streichen lassen musste. Wie weit Laumanns Vorschlag an der Realität vorbeischrammt wird auch deutlich wenn man bedenkt, dass in jüngster Zeit zwei medizinische Fakultäten, Lübeck und Halle, aufgrund finanzieller Probleme kurz vor der Schließung standen – vielleicht sollte er sich erst einmal um den Erhalt aller Standorte bemühen bevor er die Ausweitung von Studienplätzen eines der teuersten Studiengänge fordert.
Zum zweiten schlägt er vor, Medizinstudienplätze nicht mehr ausschließlich “an Einser-AbiturientInnen” zu vergeben – auch das eine sehr populistische und altbekannte Forderung. Es existieren zahlreiche Papiere die ausführen, warum die Forderung nach einer Alternative zum Numerus clausus zwar nachvollziehbar, aber wenig umsetzbar ist. Schon jetzt ist der NC nicht das alleinige Kriterium für die Studienzulassung, sondern werden die Plätze auch nach Wartesemestern, Ausbildungen im Gesundheitsbereich, Eingangstests und persönlichen Auswahlgesprächen vergeben – leider ohne eine suffiziente wissenschaftliche Evaluation dieser Auswahlkriterien. Über ihren Erfolg kann man damit nur spekulieren. Gesichert ist jedoch, dass der Numerus clausus immer noch der beste Prädiktor für ein beendetes Studium und damit ein Vermeiden von Studienabbruch ist – das ist für keinen anderen der angewendeten Zulassungsfaktoren belegt.
Woran aber scheitert die HausärztInnen-Versorgung in Deutschland wirklich?
Der Zeitpunkt, an dem sich einE MedizinerIn für oder gegen Allgemeinmedizin entscheidet liegt nicht in der Abiturphase, sondern in der zweiten Hälfte und Endphase des Studiums. Erst wenn sie einen Großteil der medizinischen Fachgebiete theoretisch und praktisch kennengelernt haben trifft die Mehrzahl der Medizinstudierenden eine endgültige Entscheidung über das angestrebte Fachgebiet. Ein bedeutender Anteil entscheidet sich sogar erst nach dem Examen. In dieser Phase treffen heute immer noch viele von ihnen eine Entscheidung gegen Allgemeinmedizin, weil die Weiterbildungswege im krassen Gegensatz zu anderen Fachgebieten fast nie strukturiert sind, man sich vielmehr seine Weiterbildung zusammenbetteln und erschwindeln muss. Angesichts dieser Perspektive entscheiden sich viele an Allgemeinmedizin interessierte dann doch gegen sie, viele weitere brechen die Weiterbildung frustriert ab. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben dies erkannt und bieten in einigen Bundesländern überlaufene Angebote der tatsächlich koordinierten Weiterbildung Allgemeinmedizin an. Es sind jedoch immer noch viel zu wenige. Eine höhere Zahl an AllgemeinmedizinerInnen wird es nur geben, wenn die Weiterbildung ähnlich übersichtlich und verlässlich gestaltet wird wie die aller anderen Fachgebiete.
Eine höhere Zahl an AllgemeinmedizinerInnen allein bedeutet aber noch nicht, dass sich diese anschließend auch im ländlichen Raum niederlassen. Um dies für junge ÄrztInnen Mitte 30 attraktiver zu gestalten wurde eine ganze Reihe an Maßnahmen in der vergangenen Legislaturperiode ermöglicht, u.a. die finanzielle Förderung dieser Niederlassungen, die neu geschaffene Möglichkeit, nicht im Ort der Praxis wohnen zu müssen etc. Außerdem existieren Kooperationen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und EU-Ländern wie Österreich, die schon heute zu viele MedizinerInnen für den eigenen Bedarf ausbilden, und diese strukturiert für die Weiterbildung nach Deutschland vermitteln. Die am stärksten betroffenen Bundesländer im Nordosten Deutschland erproben darüberhinaus wieder das Konzept der Gemeindeschwestern bzw. -pflegenden, die viele Hausbesuche übernehmen können und damit gleichzeitig die notwendige Aufwertung der Pflegeberufe ermöglichen sowie die Versorgung im ländlichen Raum sicherstellen können.
Alles das sind sinnvolle und lösungsorientierte Ansätze, und damit das Gegenteil dessen was Laumann jetzt vorschlägt. Die Hoffnung, dass Menschen mit einem “schlechten” Abi im Alter von 18 oder 19 Jahren mit Mitte 30 automatisch Landärztin werden wollen scheint bei vielen Konservativen verankert zu sein, auch wenn ihr jegliche Plausibilität fehlt.
Das alles sind die Gründe, warum Laumanns Vorstoß zwischen den Jahren nichts ist als wenig durchdachter Populismus. Es graut einem vor derart wenig Sachverstand an der Spitze des neuen Bundesgesundheitsministeriums.