Ich hatte ja neulich bereits in diesem Blog geschildert, warum die Aufrechterhaltung der massiven Kontaktbeschränkungen insbesondere für Bewohner_innen von Pflegeheimen, die geimpft sind, angesichts der erheblich eingeschränkten Lebensqualität mit Auswirkungen auf den Gesundheitszustand nur schwer zu rechtfertigen ist. Der Ethikrat hat sich jetzt in seiner jüngsten ad-hoc-Stellungnahme zu diesem Thema ebenfalls geäußert: Er rät eine Anpassung der Covid-Schutzmaßnahmen für Pflegeheim-Bewohner_innen an, da diese einerseits in absehbarer Zeit ein Impfangebot erhalten dürften bzw. zu relevanten Teilen schon geimpft sind und andererseits die Covid-bedingten Schutzmaßnahmen in Pflegeheimen in den letzten Monaten besonders schwerwiegend waren: Der Ethikrat führt hier explizit die anzunehmenden gesteigerten Risiken der Bewohner_innen sowohl von Pflege- und Seniorenheimen als auch „Behinderten-  und  Hospizeinrichtungen“ für „Depressionen,  Verstärkung  demenzieller Veränderungen, Verlust von Lebenswillen etc.“ an. Nicht explizit genannt wird die besondere Härte der Kontaktbeschränkungen angesichts einer im Schnitt kurzen Lebenserwartung insbesondere bei den Bewohner_innen von Hospiz- und Pflegeeinrichtungen. Die Anpassung der Covid-Schutzmaßnahmen wird darüber hinaus explizit empfohlen, obwohl einzelne Bewohner_innen weiterhin beispielsweise aufgrund von sehr schlechter allgemeiner gesundheitlicher Situation oder bspw. Immunerkrankungen nicht geimpft werden können.

Spannend auch die Aussagen, die in der aktuellen Stellungnahme zu anderen Punkten getroffen werden: Eine breitere Anpassung der Covid-Schutzmaßnahmen wird für den Fall angeraten, dass bessere Daten zur Reduktion des Covid-Übertragungsrisikos durch Geimpfte für die einzelnen Impfstoffe vorliegen – diese Daten werden in absehbarer Zeit vorliegen und dann eine voraussichtlich sehr hitzige Debatte darüber auslösen, wie groß die Risikoreduktion der Infektion bei Geimpften sein muss, damit tatsächlich eine allgemeine Anpassung der Covid-Schutzmaßnahmen mehrheitsfähig ist. Sollten die bald vorliegenden Daten zur reduzierten Ansteckungsgefahr an Geimpften zeigen, dass die Ansteckungsgefahr an Geimpften deutlich reduziert ist, dürfte dies auch die erneute Debatte im Ethikrat über eine Impfpflicht für einzelne Berufsgruppen notwendig machen, denn immerhin hat der Ethikrat sich in der Diskussion um die Masern-Impfpflicht erst vor kurzer Zeit für eine Masern-Impfpflicht für medizinische Berufe ausgesprochen.

Spannend auch: Dem Ziel „zerocovid“ wird indirekt deutlich widersprochen: „Dabei ist aus legitimatorischer Perspektive nicht die Ausbreitung des Virus als solche entscheidend; vielmehr können aus Sicht des Deutschen  Ethikrates  nur  gravierende  negative  Folgen  wie  etwa  eine  hohe  Sterblichkeit,  langfristige  gesundheitliche  Beeinträchtigungen signifikanter Bevölkerungsteile oder der drohende Kollaps des Gesundheitssystems  die  tiefgreifenden  Freiheitsbeschränkungen  sowie  deren  soziale,  wirtschaftliche  und  kulturelle  Begleitschäden  rechtfertigen.“

Es bleibt also spannend und zahlreiche Fragen in diesem Kontext warten darauf, ausdiskutiert zu werden. Es ist gut, dass der Ethikrat für die aktuell am stärksten von langfristigen Covid-Schutzmaßnahmen Betroffenen in Pflege- und Hospizeinrichtungen jetzt den ersten Schritt hin zu rationaleren Schutzmaßnahmen angesichts zunehmender Geimpften-Zahlen in dieser Bevölkerungsgruppe geht.