Uns alle eint das Ziel, dass wir angesichts der enormen globalen Schieflage der Gesundheitsgerechtigkeit in der Corona-Pandemie eine global gerechtere Impfstoff-Verteilung anstreben. Grüne Position sollte es vor diesem Hintergrund sein, eine Lösung zu finden, die
a) die aktuelle Versorgungssituation schnell und durchgreifend verbessert
und
b) auch langfristig die enorme Innovations-Fähigkeit für die Herausforderungen der nächsten Gesundheitskrise erhält bzw. sogar verbessert – eine atemberaubende Innovations-Fähigkeit, die die historisch einmalige Schnelligkeit der Impfstoffentwicklung in wenigen Monaten überhaupt erst ermöglicht hat.
Eine simplifizierende Forderung nach Überwindung der Patente erfüllt diese beiden Anforderungen nicht. Die Aussage der Biden-Administration ist vor allem als Ausdruck der innerparteilichen Auseinandersetzungen der US-Demokrat_innen zu werten, in denen Warren und Sanders ein symbolträchtiger Gewinn zugestanden werden konnte ohne größere tatsächliche politische Veränderungen befürchten zu müssen: Denn ohne Zustimmung von Partner_innen wie EU und Japan ist eine Verwirklichung dieser Ankündigung selbst für einen Akteur wie die USA unwahrscheinlich. Nicht ohne Grund betont die Biden-Administration, dass schnelle Resultate angesichts der langwierigen Verhandlungen innerhalb der WTO nicht zu erwarten sind. Trotzdem kann die Ankündigung der Biden-Administration sehr relevante Verbesserungen der globalen Impfstoff-Versorgung erreichen, indem sie den Druck auf die Hersteller erhöht, zu einer wirklich global gerechten Impfstoff-Verteilung stärker beizutragen. Schon allein diese Ankündigung kann dazu führen, dass die Hersteller deutlich größere Anstrengungen unternehmen, durch verbesserte Lieferbedingungen, angemessenere Preisgestaltung und eine nochmal deutliche Ausweitung der Produktionskapazitäten eine tatsächliche Aussetzung der Patente überflüssig zu machen.
Daneben ist es in der aktuellen Debatte auffällig, dass die politischen Forderungen, die eine tatsächliche Verbesserung der aktuellen Versorgungslage erreichen könnten, deutlich weniger mediale Aufmerksamkeit erfahren – sie sind zugegebenermaßen auch deutlich komplizierter. Welche Forderungen könnten das sein?
1 Eine Stärkung der COVAX-Initiative: Viel ist in den letzten Tagen darüber geschrieben worden, dass ein bloßes Aufheben der Patentregelungen keine Erhöhung der Produktion bedeutet, wenn Rohstoffe knapp sind, der Aufbau von Fabriken zeitaufwendig ist und nicht gleichzeitig das notwendige Know-How mitgeliefert wird. Deswegen ist es nicht nur zielführender, die vorhandenen Kapazitäten gemeinsam mit den Herstellern auszuweiten, sondern auch den jetzt auf den Unternehmen lastenden Druck der drohenden Patent-Aussetzung zu nutzen, um diese zu deutlicheren Zugeständnissen an COVAX zu bewegen und sowohl die Liefermengen an Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen auszuweiten als auch die tatsächliche Weitergabe der Impfstoffe und Medikamente zu Preisen einzufordern, die für diese Länder bezahlbar sind.
2 Wir müssen die Umsetzung der bereits heute auf dem Papier möglichen Zwangslizenzen unter realen Bedingungen ermöglichen: Schon heute ist es bei gesundheitlichen Notlagen, und die Corona-Pandemie ist zweifellos als solche zu bezeichnen, Staaten erlaubt, Zwangslizenzen zu verfügen und damit unter Umgehung des Patentschutzes eine Produktion notwendiger Medikamente außerhalb der Kapazitäten der Patent-Eigentümer zu ermöglichen. In der Realität scheitert dies vor allem daran, dass Unternehmen Staaten, die diese international mühsam ausgehandelte Option nutzen wollen, mit einer Reihe von Benachteiligungen abstrafen. Staaten des globalen Nordens müssen hier ihr gesamtes Gewicht in die Waagschale werfen, damit Zwangslizenzen endlich gemäß ihrer Intention tatsächlich in vielen Staaten angewendet werden können und Unternehmen nicht länger geltende Regelungen durch ihr Agieren ungestraft aushebeln können.
3 Langfristig ist es wichtig, dass wir für kommende Gesundheitskrisen und aktuell noch nicht behandelbare Erkrankungen die enorme Innovationskraft der biomedizinischen Forschung nicht schwächen, sondern im Gegensatz sogar noch stärken. Wir sollten Patente, die unbestritten enorme negative Auswirkungen haben, als Innovationsmotoren mittelfristig ersetzen durch neue Instrumente der Forschungsförderung, beispielsweise globale Preisgelder für neue Wirkstoffe, die Finanzierung klinischer Zulassungsstudien aus öffentlichen Geldern und international gestaffelte Medikamenten-Preise gemäß der Wirtschaftskraft der Abnehmer-Länder. In diesem Zusammenhang wird oft betont, dass große Mengen öffentlicher Gelder in die jeweils vorgelagerte Grundlagenforschung fließen. Das ist zweifelsohne richtig. Richtig ist aber beispielsweise auch, dass die aktuell rasche Verfügbarkeit von Impfstoffen vor allem auch sehr kostenintensiven, extrem zeiteffektiv durchgeführten klinischen Zulassungsstudien zu verdanken ist.
Natürlich gibt es auch die, die die Freigabe der Patente mit schlechten, allzu durchschaubaren Argumenten ablehnen – die betroffenen Unternehmen an vorderster Stelle. Das darf jedoch zielgerichtetere Maßnahmen zur Verbesserung der internationalen Impfstoff-Versorgung nicht diskreditieren.
Politisch unterkomplexe Debatten, die weder mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit eine tatsächliche Verbesserung der aktuellen Situation erreichen können noch die langfristigen Nebenwirkungen in den Blick nehmen sollten wir 5%-Parteien überlassen. Unsere Aufgabe ist es, die Lebensbedingungen sowohl im Hier und Jetzt als auch für zukünftige Generationen tatsächlich zu verbessern.