Knapp eineinhalb Jahre liegt die letzte Impfdebatte zurück – zuletzt wurde im Sommer 2013 über Masernausbrüche in Deutschland, speziell NRW diskutiert. Der damalige grüne Beitrag zur Debatte stammte von Biggi Bender, die sich rigoros gegen verpflichtende Impfungen aussprach, “politische Gelassenheit” anmahnte und vor den Langzeitschäden nach Impfungen warnte – die problematischen Aussagen ihres Beitrags hatten wir einem Faktencheck unterzogen.

Ihre Worte wirken heute wie aus einer völlig anderen Zeit: Nur eineinhalb Jahre später stellt sich jetzt der bündnisgrüne Bundesvorstand vor die Kamera, um zum Impfen aufzufordern. Biggis Nachfolgerinnen, Kordula Schulz-Asche und Katja Dörner, schlagen deutlich moderatere Töne an und werden selbst dafür noch innerparteilich kritisiert. Es ist faszinierend, wie stark sich der grüne Mainstream in derart kurzer Zeit bewegen kann, wenn ein gesellschaftliches Thema an Relevanz gewinnt.

Unabhängig von dieser erfreulichen innerparteilichen Entwicklung muss man aber fragen, wie man sich jetzt zur Frage der allgemeinen Impfpflicht positionieren soll. Auch von Kordula Schulz-Asche wird immer wieder angebracht, dass eine Impfpflicht erst neu eingeführt werden müsste und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar wäre. Im Gegensatz dazu heißt es aber bereits heute in §20 des Infektionsschutzgesetzes:

(6) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden. Ein nach dieser Rechtsverordnung Impfpflichtiger, der nach ärztlichem Zeugnis ohne Gefahr für sein Leben oder seine Gesundheit nicht geimpft werden kann, ist von der Impfpflicht freizustellen; dies gilt auch bei anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe. § 15 Abs. 2 gilt entsprechend.

Bis 1976 existierte in der BRD eine Impfpflicht für Pocken, eine Impfpflicht ist also sehr wohl mit dem Grundgesetz vereinbar. In der Konsequenz sind die Pocken übrigens die einzige Erkrankung, die jemals erfolgreich weltweit ausgerottet werden konnte. Damit ist eine Impfpflicht historisch die einzige Methode, die erfolgreich zur Ausrottung einer Infektionskrankheit führte.

Aber auch wenn man sich nicht zur Forderung einer allgemeinen Impfpflicht durchringen kann, gibt es wirkungsvollere Alternativen als die jetzt von Katja Dörner und Kordula Schulz-Asche geforderte Ausweitung der unverbindlichen Beratung: Australien koppelte 1999 im “Family Assistance Act” die Auszahlung von Kinderbetreuungs- und Mutterschaftsgeld an einen vollständigen Impfstatus: Prompt stiegen die Rate der vollständig geimpften Einjährigen von 75 auf 94%.

Hingegen erlauben Regelungen wie in den USA, die einen vollständigen Impfstatus lediglich als obligat beim Besuch von öffentlichen Kitas und Schulen einfordern, zu viele Ausnahmemöglichkeiten. In der Konsequenz treten Masernausbrüche regelmäßig auch unter Schulkindern in den USA auf, wenn auch in geringerem Ausmaß als aktuell in Berlin.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die offizielle grüne Position zu Impfungen derart rasant weiterentwickelt wie in den vergangenen beiden Jahren. Eine Möglichkeit dazu wird der kommende Bundeskongress der Grünen Jugend mit einem Antrag zu einer allgemeinen Impfpflicht bieten – es bleibt spannend.