Die Super Illu macht diese Woche mit der “Ost-Wut auf die Grünen” auf und stellt die Grünen gerade zum Jubiläum der Vereinigung von Bündnis 90 und Die Grünen als unostdeutsche Partei dar. Das sehen Stefan Gelbhaar und ich natürlich anders und haben dies im Interview dazu auch deutlich gemacht.

Frau Piechotta, Herr Gelbhaar, in den meisten anderen Ost-Regionen sieht es für die Grünen mau aus. Versteht ihre Partei den Osten nicht?

Piechotta: Nein. Wir verstehen den Osten sehr gut. Man muss die Wahlergebnisse auch richtig interpretieren. Dass wir im Osten schlechter abschneiden als z. B. in Baden-Württemberg, liegt auch an der unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur. Bei jüngeren Menschen und bei Stadtbewohnern haben wir mehr Wähler als bei Älteren und Landbewohnern. Und bei Menschen, die sich selbst wohlhabend fühlen. Der Altersschnitt im Osten ist höher, die Bevölkerung ländlicher. Und die Zahl derer, die sich wohlhabend fühlen, geringer. Wahlergebnisse wie bei mir in Leipzig oder bei Stefan Gelbhaar in Berlin zeigen aber auch, dass man auch das nicht pauschalisieren kann. Wir haben zugelegt, vor allem in Städten.

Mit ihrem Umweltkurs ernten sie im Osten viel Gegenwind, wie zuletzt zum Atomkraft- Aus Mitte April.

Gelbhaar: Sehe ich anders: Die Skepsis gegenüber der Atomkraft war spätestens nach Tschernobyl im Osten auch sehr groß. Und es gab schon 1990 einen großen Konsens, die ostdeutschen Atomkraftwerke abzuschalten. Und nach Fukushima gab es auch im Osten eine breite Mehrheit in den Umfragen für einen schnellen Ausstieg.

… jetzt sorgen die hohen Strompreise und die Angst vor dem Blackout für Empörung…

Gelbhaar: … ein Blackout, zu dem es nicht kam. Und der auch nicht zu erwarten war. Der Strompreis ist durch die Abschaltung der Atomkraftwerke am 15. April übrigens auch nicht gestiegen. Der Atomausstieg wurde über Jahrzehnte gut vorbereitet.

Auch die Sanktionspolitik gegenüber Russland stößt bei vielen Ostdeutschen auf Skepsis. Grünen-Minister Robert Habeck musste sich wegen des Russen-Öl-Embargos vor Arbeiter der Öl-Raffinerie Schwedt Protesten stellen …

Piechotta: Wir haben für die Raffinerie in Schwedt – und übrigens auch für die in Leuna – Lösungen gefunden. Die Jobs dort sind sicher.

Ein ziemlich kurioses Spannungsfeld tun sie sich mit ihrer Forderung nach einer „gendergerechten“ Sprache an. Ein Großteil der Ostdeutschen lehnt ihre Sternchen-Sprache kategorisch ab.

Piechotta: Sprache verändert sich, junge Menschen sehen das oft anders als Ältere. Und halten es für wichtig, geschlechtergerecht zu reden und zu schreiben.

Gelbhaar: Es geht um Höflichkeit, um präzise Sprache, wir wollen da ein Vorbild geben ohne Vorschriften zu machen. Die das machen wollen: gut so. Die anderen machen das halt nicht.

Piechotta: Wir sollten die Gender-Debatte entspannt sehen, es gibt weit wichtigere Themen, über die wir uns einigen müssen. 

Zur Wiedervereinigung trat Bündnis 90/Grüne 1990 als Ost-Partei an. Dieses Erbe haben Sie offenbar verspielt?

Piechotta: Es ist ein Erbe, auf das wir sehr stolz sind. Der Anfang war schwer, weil die Bürgerrechtler von 1990 sich in diesem westdeutschen Parteiensystem zurechtfinden mussten. Auch die massenhafte Abwanderung vor allem junger Menschen aus dem Osten trug viele Jahre zu unseren schlechten Wahlergebnissen bei. Inzwischen legen wir aber auch im Osten von Wahl zu Wahl zu.