Man erwartet ja nicht, dass im ersten grün-schwarzen Koalitionsvertrag gesundheitspolitische Meilensteine in die Erde gerammt werden. Man erwartet auch nicht, dass die gesundheitspolitischen Differenzen zwischen Ökos und Ewiggestrigen so groß sind, dass man in jedem Satz über einem mühsam zusammengeklaubten Formelkompromiss stolpert. Aber dass ein gesundheitspolitisches Kapitel fast ausschließlich aus Soll- und Kann-Bestimmungen besteht und damit sowohl hinter das grüne als auch das schwarze Wahlprogramm zurückfällt, das ist etwas erstaunlich. Die Gesundheitspolitik im Koalitionsvertrag der Baden-Württemberger GroKo, das ist größtenteils eine beschauliche Wattelandschaft aus Prüfaufträgen und Kann-Bestimmungen mit luftig-oberflächlichen Problemandeutungen. Egal ob man den gestern vorgelegten Koalitionsvertrag mit seinem Stuttgarter Vorgänger von 2011 vergleicht, mit den grünen und schwarzen BW-Wahlprogrammen 2016 oder mit dem frischen Koalitionsvertrag aus Rheinland-Pfalz: Überall sind die politischen Ziele handfester und detaillierter beschrieben als hier.

Die wichtigsten „konkreten“ Inhalte des Koalitionsvertrags:

Gesundheitskarte für Flüchtlinge: Die CDU lehnte sie ab, wir als Grüne wollten sie, im Ergebnis wird sie im Koalitionsvertrag nicht einmal erwähnt. In Rheinland-Pfalz zeigt sich im Koalitionsvertrag, dass man trotz FDP nicht auf die Gesundheitskarte verzichten muss: Dort soll den Kommunen die Möglichkeit gegeben werden, die Gesundheitskarte einzuführen.

 
Medizin im ländlichen Raum: Zu diesem Thema hat man sich Prüfaufträgen für eine Landarztquote zum Medizinstudium und der „Stärkung der Allgemeinmedizin“ verschrieben. Konkreter wird es selten. Das „Landärzte-Stipendium“ der CDU findet sich nicht im Vertrag, dafür aber ein Stipendienprogramm für Allgemeinmedizin-willige Student_innen – welches auf jeden Fall billiger ist. Die „passgenaue Bedarfsplanung der Ärzteversorgung“, die die CDU vorantreiben wollte hat es leider ebenfalls nicht ins Programm geschafft. Stattdessen möchte man sich nur „einsetzen“ für mehr grundversorgende Fachärztinnen in der Fläche.

 
Pflege: Immerhin formuliert der Koalitionsvertrag hier ein deutliches Bekenntnis zu besseren Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen für die Pflege in Baden-Württemberg – eleganterweise will man sich dafür primär auf Bundesebene einsetzen. Das von den Grünen heiß geliebte Projekt der Pflegekammer soll nur kommen, wenn sich die Pflegenden selbst mehrheitlich dafür aussprechen.
Insgesamt aber ist die Handschrift der CDU deutlich lesbar: Ganzen vier Seiten Gesundheitspolitik im engeren Sinne stehen allein drei Seiten zur Pflege und alternden Gesellschaft gegenüber: Dies war bereits der deutliche Schwerpunkt des CDU-Wahlprogramms.

 
Krankenhausfinanzierung: Wir Grüne hatten im Wahlprogramm eine am „tatsächlichen Bedarf der Bevölkerung orientierte“ Krankenhauslandschaft gefordert, die CDU wollte sogar klipp und klar nicht benötigte Standorte aufgeben und Qualitätsparameter in den Landeskrankenhausplan aufnehmen. Beides findet sich spannenderweise im Koalitionsvertrag. Vielleicht ist es wie auf Bundesebene: Nur eine große Koalition hat derart breite Schultern, dass die grundlegendsten Probleme im Gesundheitswesen angegangen werden können.

 

Telemedizin: Soll „unterstützt“, „nachhaltig ausgebaut“ und „strategisch entwickelt“ werden, damit ist man gleichzeitig unkonkret und bringt doch auch im Gesundheitspolitik-Kapitel noch die Digitalisierung unter. Großartig. Hatten sowohl Grüne als auch CDU ähnlich unkonkret im Wahlprogramm angekündigt, von daher keine Überraschung.

 
Hebammen: Während die CDU das Problem der Hebammenversorung nicht einmal im Wahlprogramm erwähnte, findet sich nun ein kleiner Absatz. In diesem möchte man die Hebammen „stärken“ und „zügig Gespräche aufnehmen“. Selbst für landespolitische Hebammenpolitik-Verhältnisse ist das wenig, quasi jedes andere Bundesland konnte sich zumindest zu einem „Runden Tisch Geburtshilfe“ und einem Ausbau der hebammengeleiteten Kreißsäle aufraffen. Nun ja.

 

Psychiatrie: Während man im CDU-Wahlprogramm nur etwas zur Psyche von Straftätern las haben wir als Grüne nun im Koalitionsvertrag eine Ausweitung der ambulanten Versorgung und eine Weiterentwicklung des Landespsychiatrieplans untergebracht. Immerhin.

 

Letztlich wird dieser Koalitionsvertrag vor allem der ersten grünen Gesundheitsministerin für Baden-Württemberg vergleichsweise große Freiheiten lassen bei einer gleichzeitig minimalen Zahl an Projekten, die ihr vom Koalitionsvertrag zur Abarbeitung vorgelegt werden. Ein derart luftiger Koalitionsvertrag setzt aber auch  Landeskrankenhausgesellschaft und Landesärztekammer, Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkassen in ihrer politischen Arbeit deutlich weniger  entgegen. Insgesamt bietet dieser grün-schwarze Koalitionsvertrag aus gesundheitspolitischer Sicht kein mörtelverstärktes Bollwerk, das einen als Ministerin schützen würde oder hinter dem man bei Angriffen seine Leute versammeln könnte.