Drei Jahre nach dem ersten Lockdown ist es verständlich, dass viele einen Schlussstrich unter allen Corona-Debatten ziehen wollen. Doch die politische Aufarbeitung der Corona-Jahre ist nicht mit der allseits geteilten Binse abgeschlossen, dass die Interessen von Kindern zu wenig beachtet wurden. Gerade die Verwerfungen in Ostdeutschland müssen breiter aufgearbeitet werden: Die Pandemie hat uns im Osten in einer neuen Intensität vor Augen geführt, wie mangelndes Vertrauen in Politik und fehlende Durchsetzbarkeit demokratischer Entscheidungen in der Krise doppelt destruktiv werden. Wir stellen uns die Frage, ob ostdeutsche Gesellschaften in der Krise überhaupt noch ausreichend handlungsfähig sind.
Es überrascht niemanden, dass die Stärke rechter Parteien und das fehlende Vertrauen in Politik das Regieren in Ostdeutschland generell schwieriger machen. Aber am Ende wählen auch in allen ostdeutschen Ländern die Menschen mehrheitlich demokratische Parteien, regieren demokratische Regierungs-Mehrheiten und können Menschen darauf vertrauen, dass ihr Lebensalltag nicht unmittelbar von der AfD geformt wird. Das war mit Corona anders: Egal ob sehr viel niedrigere Impfraten oder sehr hohe Sterbezahlen: Die signifikant schlechtere Akzeptanz von Schutzmaßnahmen in einem Teil der Bevölkerung hatte Konsequenzen für die Gesamtheit aller Bürger_innen – schon allein dadurch, dass die allgemeine Lebenserwartung in den Corona-Jahren in Ostdeutschland sehr viel dramatischer gesunken ist als in Westdeutschland. Die Minderheit hat es vermocht, das Leben Aller deutlich zu verschlechtern. Damit wurde über den Haufen geworfen, was viele Menschen heute noch in Ostdeutschland hält: Dass man nämlich 30% für die AfD im eigenen Bundesland relativ gut ausblenden kann, wenn das eigene Alltagsleben in Potsdam oder Dresden davon nicht unmittelbar beeinflusst wird. Hier ist neue Unsicherheit entstanden, auch darüber, wie stark die Pseudo-Montagsdemonstrationen Nichtwähler_innen für rechte Parteien über das bisherige Niveau hinaus mobilisieren können und welchen Einfluss eigentlich Ost-Ministerpräsidenten haben, die öffentlich „autoritäre Maßnahmen des Staates“ einfordern – und damit die demokratische Legitimation von Entscheidungen gleich selbst infrage stellten.
Wir brauchen Antworten, denn die nächsten Krisen stehen vor der Tür und damit die Frage, ob ostdeutsche Gesellschaften dann stark genug sind diesen Krisen sinnvoll zu begegnen.